Stechpalmenwald
Die Berühmtheit Hollywoods
ist wohl eher der Filmindustrie geschuldet, als der Stechpalme. Wörtlich
übersetzt bezeichnet „Hollywood" nämlich eigentlich genau
das: Stechpalmenwald. In dem immergrünen Laubbaum, an dessen Blättern
Stacheln wachsen, erkannte Christine Matzke eine Analogie zum immergrünen
Nadelwald der Landschaft ihrer Kindheit. Vor diesem Hintergrund machte sie
sich in Los Angeles auf die Suche nach den landschaftlichen, geschichtlichen
und symbolischen Besonderheiten des Ortes und ging der Frage nach,
inwieweit er Einfluss nimmt auf ihre europäisch geprägte Bildsprache, gewohnte
Blickwinkel und die erlernten, künstlerischen Mittel. Hierfür umfuhr sie
das ursprüngliche Gebiet Hollywoods, wie es auf der ersten offiziellen Karte
eingezeichnet ist, vorbei am bekannten Hollywood-Schild, über den Walk of Fame
bis zum Wilcox-Platz, der dem Begründer der Stadt gewidmet ist. Entstanden sind
dabei Fotografien und Kohlezeichnungen von kargen, verschwommenen
Landschaften, die in bewusstem Kontrast stehen zur Schnelllebigkeit und
Bilderflut der Stadt.
Nur rückblickend komme ich weiter
Christine Matzke arbeitet an
der Nahtstelle zwischen Erinnerung und Geschichte. Ausgangspunkt ihrer
Zeichnungen sind Schwarz-Weiß-Fotografien, Dokumente und erzählte Geschichten,
auf die sie im Fundus ihrer eigenen Familie stößt. Dabei bewegt sich die
Künstlerin stets an der Grenze der Erinnerung, begegnet Leerstellen und nicht
dokumentierten Zeitabschnitten, an denen ihre künstlerische Arbeit ansetzt.
Gleich einem in Kunst übersetzten Gedächtnis stellen ihre Arbeiten neue
Verbindungen zwischen den überlieferten Fragmenten her. Immer wieder greift
Matzke dabei auf Interviews mit Zeitzeugen zurück. So entsteht zwischen
Recherche und Fiktion ein unscharfes Bild der Vergangenheit. Die Künstlerin
versteht die Arbeit am Bild nicht als kausalen Vorgang, sondern als beweglichen
und immer neuen Regeln unterworfenen Prozess, der sich im besten Fall nicht
zur Gänze entschlüsseln lässt. Häufig begleiten sie Ideen über Jahre und
tauchen in unterschiedlicher Gestalt immer aufs Neue in ihren Zeichnungen auf. Das
geeignete Medium für jenes Moment der Vagheit findet Matzke in der
Kohlezeichnung, die in der Reduzierung auf Schattierungen und Kontraste den
Stil der zugrundeliegenden Fotografien aufgreift.
"Wie
weit lässt sich die eigene Vergangenheit zurückverfolgen? Welcher abgelichtete
Moment zeigt den Ursprung des eigenen Familiengedächtnisses? Wo lässt sich
der Anfang der eigenen Geschichte finden? Eine Frage, die wie die
Künstlerin wohl jeden bewegt. Sie begab sich auf die Suche im Familienarchiv,
sichtete mit ihrer Großmutter Schwarz-Weiß-Fotografien, Dokumente, ließ sich
Vergangenes erzählen, spürte nach, wie sich Privates und der Gang der
Weltgeschichte verschränkten. Ihre Serie ist ein in Kunst übersetztes
Gedächtnis, das auf dem Pfad zwischen Gewusstem, verfälschter Erinnerung und
Vergessenem wandelt. Sind die Fotografien authentisch? Zeigen sie im
vordigitalen Zeitalter nur die Festtage der Vorfahren? Wie viel Wirklichkeit
zeigt ein von Amts wegen gefertigtes Passbild? Ein vages Bild der Vergangenheit
entsteht, ambivalent bleibt das Gefühl von Nähe und Distanz – kongenial
ausgedrückt in den auf Schattierungen und Kontraste reduzierten
Kohlezeichnungen."
Ines Janet Engelmann, Kuratorin der Stipendiatenausstellung "Follow the Lines!"
1979 in Sangerhausen geboren
| 2001 – 2009 Studium an der an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle,
Fachgebiete Buchkunst und Grafik |
2005 – 2006 Auslandsstudium an der Kunsthochschule Bergen (Norwegen) | Beteiligung
an zahlreichen Ausstellungen (Auswahl): 2009 Gemeinschaftsausstellung in der
Galerie salonfähig | 2009 Diplomausstellung Burg Giebichenstein, Volkspark,
Halle (Saale) | 2008 Ausstellung „Grafisch“ LIA (Leipzig International Art
Programme) | 2007/08 Deutsch-Dänische
Galerie „Bog Kunst“ | lebt und arbeitet in Halle (Saale)